Crucifixus dolorosus
Köln (?), um 1300; Fassung 15. Jahrhundert
Nussbaumholz, gefasst
St. Maria im Kapitol, nördliche Winkelkapelle an der Ostkonche
Der Crucifixus dolorosus veranschaulicht Leiden und Sterben Christi am Kreuz in ungewöhnlich expressiver Weise. Als religiöses Bildwerk genoss er besondere Verehrung; in der Neuzeit galt das Kreuz als wundertätig und war Ziel von Wallfahrten.
Dargestellt ist der sterbende, nur mit einem Lendentuch bekleidete Christus an einem Gabelkreuz. Der ausgemergelte Körper Christi hängt kraftlos in gerader Linie an den schrägen Armen. Deutlich zeichnen sich die Rippen ab, der Bauch ist eingefallen. Die Knie sind angewinkelt; die Füße, von einem Nagel durchbohrt, weisen wie die Hände Risswunden auf. Der Oberkörper ist mit Wundmalen übersät, aus der großen Seitenwunde tritt ein Blutstrom. Das dornenbekrönte Haupt ist auf die rechte Brust gesunken, die fast geschlossenen Augen und die Wangen sind eingefallen, der schmerzverzerrte Mund ist leicht geöffnet. Das Gabelkreuz stammt aus mittelalterlicher Zeit, ist jedoch nicht das original zugehörige, sondern ist zweitverwendet.
Der Crucifixus wurde aufgrund seiner Entstehung in den Jahren um 1300 als Urbild dieses Typus von Kruzifixen bezeichnet. Seine Wirkung ist jedoch erheblich gesteigert durch eine zweite, erst im 15. Jahrhundert aufgetragene Farbfassung, die anstelle der maßvolleren ursprünglichen die Spuren des Leidens erst derart dramatisch darstellt. Kenntnis hierüber geben die gerade abgeschlossene Restaurierung und neue Forschungen.
Crucifixus dolorosus: Neue Forschungen
Neue Erkenntnisse revidieren frühere Thesen über die Entstehung des Bildwerkes (Godehard Hoffmann, Der Crucifixus dolorosus in St. Maria im Kapitol zu Köln, in: Colonia Romanica, XV, 2001, S. 9-82). Der Crucifixus soll für den vor dem Lettner stehenden Kreuzaltar geschaffen worden sein. Dies lässt sich allerdings erst seit dem Jahr 1666 sicher nachweisen. Eine endoskopische Untersuchung ergab, dass die von Aegidius Gelenius (Staurologia Coloniensis, 1636) aufgezählten 38 Reliquien, die 1304 anlässlich der Weihe des Kreuzes in den Crucifixus dolorosus gelegt worden sein sollen, nur zu etwa zehn Prozent mit den im ausgehöhlten Brustraum befindlichen 50 bis 60 teils unbeschrifteten Reliquienpäckchen übereinstimmen. Die Zuordnung dieser Quelle zum Kruzifix in St. Maria im Kapitol kann demnach nicht mehr als völlig sicher gelten. Als Entstehungszeit ist jedoch in jedem Fall das späte 13. oder frühe 14. Jahrhundert anzunehmen (vor 1312). Damit ist auch die Datierung in das Jahr 1304 fraglich.
Die bislang der Entstehungszeit zugeschriebene farbige Fassung des Gekreuzigten stammt erst aus der spätgotischen Epoche, wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert. Die in Resten darunter kürzlich entdeckte, das Leiden weniger drastisch zeigende erste Fassung stellt Crucifixus dolorosus in engeren zeitlichen Zusammenhang mit weiteren Kreuzen im Rheinland und einem in Westfalen (in St. Georg in Bocholt, St. Johann Baptist in Kendenich, St. Maria vom Frieden in Köln). Außerdem ist eine ähnliche auch bei anderen europäischen Kruzifixen nachzuweisen (Pisa, Oristano, Risinge/Schweden). Nachfolge fand das Kruzifix in St. Maria im Kapitol demnach nicht nur in künstlerischer Hinsicht insgesamt, sondern auch hinsichtlich der ersten Fassung, doch handelte es sich offenbar nicht um eine in Köln entwickelte Gestaltungsweise. Erst die Zweitfassung, die lange als Argument für die Datierung derartiger Kreuze diente und das Kölner Beispiel als Höhepunkt am Anfang einer Reihe von expressiven Kruzifixen erscheinen ließ, hat mit Geißelmalen und breiten Blutströmen aus den Wunden die Wirkung verändert: An die Stelle "flächig-unruhiger" Erscheinung trat eine "dramatischere", auch plastisch akzentuierte. So wurde in späterer Zeit die Imagination der Passion noch einmal gesteigert.
Der Crucifixus dolorosus aus St. Maria im Kapitol lässt sich hinsichtlich des Stils kaum mit der rheinischen und Kölner Skulptur seiner Zeit verbinden; er schien bislang ein singuläres Werk von herausragender Qualität zu sein. Dass er von einem Kölner Bildschnitzer geschaffen worden sei, muss daher fraglich erscheinen. Derartige Kruzifixe aus dem frühen 14. Jahrhundert sind auch aus anderen europäischen Ländern bekannt, obschon im Vergleich zu Kreuzen von gemäßigter Gestaltung in sehr geringer Zahl. Die Kruzifixe in St. Simon und Juda in Thorr (Kreis Bergheim), St. Lambertus in Coesfeld (Westfalen) und St. Johannes in Lage/Rieste (Niedersachsen) sind weitere Exemplare in Deutschland, die in der jeweiligen regionalen Kunst wie 'Fremdkörper' wirken und nur begrenzte, lokale Nachfolge hatten. Dagegen sind künstlerische Verbindungen zu Kruzifixen anderer Länder zu erkennen. Besonders deutlich scheint der Einfluss Italiens. Daher ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, es handele sich bei den genannten Kruzifixen um Importstücke oder sie seien von Wanderkünstlern geschaffen worden, wofür im Falle des Kruzifixus in St. Maria im Kapitol auch die Verwendung des ortstypischen Nussbaumholzes spräche.
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